Am Rande oder schon darüber hinaus? Die Südostschweiz, 24.02.2005, von Daniel Foppa

Am Rande oder schon darüber hinaus?
Die Südostschweiz, 24.02.2005, von Daniel Foppa
Es ist nicht mehr eindeutig eruierbar, wie es zur aktuellen Diskussion über die Rentabilität der Randregionen gekommen ist. Die Debatten im Vorfeld der Abstimmung zum neuen Finanzausgleich vom letzten November, die kontroversen Reaktionen zur neuen Regionalpolitik des Bundes und vor allem die angespannte Lage der Staatskasse mögen Gründe dafür sein, dass plötzlich ungewohnt intensiv über Sinn und Unsinn der dezentralen Besiedlung der Schweiz diskutiert wird. Vertreter von Randregionen und Kantonen sind jedenfalls alarmiert. «Der nationale Zusammenhalt und die dezentrale Besiedlung werden immer mehr in Frage gestellt. Diese staatstragenden Elemente dürfen nicht einfach aufgegeben werden», sagt Thomas Egger, Direktor der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete. «Ich betrachte diese Diskussion mit grosser Besorgnis», meint auch Canisius Braun, Sekretär der Konferenz der Kantonsregierungen.Grandios gescheitert«Die Entwicklungspolitik der Schweiz in den Alpen ist grandios gescheitert», schreibt der Journalist und Ökonom Markus Schneider in seinem Ende 2004 erschienenen Buch «Idée suisse. Was das Land zusammenhält und wer dafür bezahlt». Schneider benennt Fehlfunktionen und Ineffizienz innerhalb des Schweizer Umverteilungssystems, das für einen Ausgleich zwischen Reich und Arm, Gesund und Krank sowie Tal und Berg sorgt. Trotz gewaltiger Summen, die aus dem Mittelland in die Alpen transferiert werden (laut Schneider flossen 2003 rund 7,5 Milliarden Franken unter anderem via den Finanzausgleich, die Landwirtschaft oder die Verkehrspolitik in die Berggebiete), seien Letztere Problemregionen geblieben, und die Unterschiede zu den Zentren nähmen stetig zu. Schneider stellt zum Schluss die rhetorische Frage: «Darf man die Frage nach dem Nutzen und den Kosten des nationalen Zusammenhalts stellen?» und beantwortet sie selbst: «Man muss.» Mit dieser Einschätzung steht er nicht alleine da. «Randgebiete sollen eine würdevolle, mit Ausstiegshilfen begleitete Entleerung und Aufforstung angehen», erklärte der Ökonom und Publizist Beat Kappeler im November 2004 an einem Podiumsgespräch in Chur und der Basler Wirtschaftsprofessor René L. Frey sagte kürzlich in einem Interview: «Naturparks und verwilderte Gebiete hätten ihren speziellen Reiz. Warum nicht einige Täler verwildern lassen?»

Solche Aussagen stossen bei Kantonsvertreter Braun auf klaren Widerspruch. «Die Schweiz definiert sich nicht bloss über die ökonomische Leistungsfähigkeit», sagt Braun und verweist auf Begriffe wie Ausgleich und Solidarität. Entscheidend ist für ihn, dass die Personen in den betroffenen Gebieten selbst über ihre Zukunft befinden sollen. «Man kann doch nicht vom Mittelland aus definieren, welche Täler aufgegeben werden sollen und welche zu entleeren sind. Dann sind wir bald so weit wie in China, wo Menschen zwangsumgesiedelt werden, um Staudämme zu bauen», sagt Braun.

Föderalismusdebatte lanciert

Neben den provokativen Äusserungen von Ökonomen sorgt zurzeit die von der Stiftung Avenir Suisse lancierte Föderalismusdebatte für Gesprächsstoff. Laut der Denkfabrik ist das stockende Wirtschaftswachstum der Schweiz auch auf die Zersplitterung des Landes in 26 Kantone zurückzuführen, die als Wirtschaftsräume zu wenig effizient seien. Die Stiftung will deshalb den sechs «Metropolitanregionen» des Landes mehr Gewicht beimessen, unter anderem durch eine stärkere Vertretung der Wirtschaftszentren im Parlament.

In den Randregionen stiessen die Vorschläge auf Ablehnung. So zeigte sich in Graubünden die FDP «empört», während die CVP von einem «Angriff auf die föderalen Strukturen der Schweiz» sprach. Auch für Canisius Braun ist klar: «Der Föderalismus darf nicht nur über die ökonomische Leiste geschlagen werden.» Braun ist nicht grundsätzlich gegen Reformen und bewertet zum Beispiel den Zusammenschluss von Gemeinden zu grösseren und leistungsfähigeren Einheiten positiv. Für ihn ist aber entscheidend: «Solche Entwicklungen müssen von der Basis her kommen und dürfen nicht von oben herab verordnet werden.»

Politik konkretisiert Projekte

Parallel zur öffentlichen Debatte werden auf dem politischen Parkett Projekte konkretisiert, die für die Randregionen entscheidend sind. So müssen nach dem Ja zum neuen Finanzausgleich rund 30 Bundesgesetze geändert werden. In den Reaktionen auf die Ausführungsgesetzgebung wurden unter anderem Ängste laut, dass die Bundesbeiträge an die ungedeckten Kosten des Regionalverkehrs zu stark gekürzt werden. Zudem werden die Randregionen mit Argusaugen darüber wachen, dass der neue Ressourcenausgleich wie versprochen dotiert wird, um die geografisch-topografischen Nachteile der Bergregionen zu mildern. Ebenfalls aktuell sind die Diskussionen zum Entlastungsprogramm 2004. Der Ständerat eröffnet übernächste Woche die Debatte zur 2-Milliarden-Sparvorlage, die die einzelnen Kantone sehr unterschiedlich betrifft. So wird laut bundesrätlicher Botschaft Graubünden rund sechsmal stärker getroffen als Basel-Stadt. Zu erwarten ist, dass das Parlament an der Vorlage einzelne Korrekturen vornimmt. In eine Zusatzrunde geschickt wurde schliesslich die neue Regionalpolitik des Bundes. Nach mehrheitlich kritischen Antworten in der Vernehmlassung ist der Bund über die Bücher gegangen und will bis Ende Jahr eine neue Botschaft präsentieren. Ein erster Überblick über die Thematik zeigt damit: Die Randregionen-Debatte wird die Schweiz noch längere Zeit beschäftigen.