Tages-Anzeiger, 25.11.2004, von Iwan Städler
Schneiders Buch kommt in diesen Tagen in den Handel und ist bereits sein zweites innert Jahresfrist. Im ersten, dem «Weissbuch 2004», kritisierte er die Schweizer Steuer- und Sozialpolitik. Als Alternative schlug der Ökonom eine so genannte Flat tax vor und belebtedamit die politische Diskussion.
Auch «Idée suisse» dürfte den einen oder anderen Politiker inspirieren. Denn das Buch zeigt auf, wie die Umverteilung immer wieder am Ziel vorbeischiesst. Zum Beispiel die Wohnbauförderung: Lediglich jede dritte staatlich geförderte Wohnung wird bei einem Mieterwechsel in Zürich ausgeschrieben. Der Rest geht laut Schneider unter der Hand weg. Mit dem Resultat, dass die tiefsten Einkommen, die man speziell fördern möchte, geringe Chancen haben. Dafür schaffen es auffallend viele Politiker. Selbst Christoph Blocher fand in der Berner Altstadt eine kommunale 3-Zimmer-Wohnung, ohne dass diese zuvor in einem Inserat ausgeschrieben worden wäre.
Im Gegensatz zu anderen Kritikern ist Schneider nicht prinzipiell gegen das Umverteilen. Wenn die Schweiz ein soziales Land bleiben wolle, könne sie nicht allein auf Eigenverantwortung bauen. Ansonsten müsse eine 90-jährige Frau 17-mal mehr für die Krankenkasse zahlen als ein 25-jähriger Mann.
Schneider zweifelt jedoch an der Effizienz des heutigen Umverteilungssystems. Gemäss seinen Berechnungen fliessen von den rund 140 Milliarden Franken, die hier zu Lande jährlich transferiert werden, nur 18,5 Milliarden direkt an die Armen. Wie das übrige Geld wirke, sei unklar: «Der heutige Sozial- und Umverteilungsstaat entpuppt sich als eine Art Tinguely-Brunnen. (. . .) Auf unendlich verschlungenen Wegen strömt und sickert das Flüssige.»
Ein beträchtlicher Teil davon fliesst an die Rentner – auch wenn diese heute im Schnitt reicher sind als die Jungen. Viele Pensionäre verzehren daher im Alter nicht wie vorgesehen ihr angespartes Vermögen, sondern vermehren dieses gar. Weitere 7 Milliarden Franken fliessen laut Schneider an die Familien. Dennoch ist in Zürich und Bern jedes neunte Kind auf Sozialhilfe angewiesen, in Basel gar jedes achte. Schuld an dieser Ineffizienz der Umverteilung sind unter anderem die Steuerrabatte, von welchen die Falschen profitieren, nämlich die gut Verdienenden. Im Vergleich dazu schneidet selbst die viel gescholtene Giesskanne besser ab. Verteilt man nämlich die 7 Milliarden gleichmässig auf alle Kinder, erhielte jedes eine Zulage von 300 Franken pro Monat.
Schneider gelingt es, die an sich trockene Materie in munterer Sprache zu vermitteln. Grundlegend Neues erfährt man in seinem Buch aber nicht – vor allem jene nicht, die in den letzten Jahren seine Artikel in «Weltwoche», «Facts» und «Bilanz» gelesen haben. Ihnen wird manch ein Satz bekannt vorkommen. Der Wert des Buchs besteht vielmehr darin, dass man auf 160 Seiten eine Vielzahl von interessanten Gedanken, Daten und Studien zur Umverteilung zusammengefasst findet – auch wenn Schneider den Begriff manchmal etwas gar breit auslegt.
Im letzten Kapitel stellt er zehn Thesen auf, wie sich das Umverteilungssystem verbessern liesse. Ganz widerspruchsfrei sind diese allerdings nicht. So rät Schneider, der Staat solle «nicht Geburten fördern». Eine solche Politik sei zu teuer und komme für die Altersvorsorge zu spät. Zehn Seiten weiter hinten schlägt er aber einen AHV-Zuschlag für Mütter vor und begründet: «Frauen, die Kinder – AHV-Beitragszahler – in die Welt setzen, sollen nachträglich dafür belohnt werden.» Da staunt der Leser. Hat er doch 75 Seiten weiter vorne erfahren, dass in erster Linie nicht Rentnerinnen und Rentner, sondern junge Familien knapp bei Kasse sind. – Trotz solcher Ungereimtheiten: Anregend ist «Idée suisse» für politisch Interessierte allemal.
Markus Schneider: Idée suisse. Was das Land zusammenhält und wer dafür bezahlt. Weltwoche-Verlag, 160 Seiten, 39 Franken.