Ein neues Buch verspricht Durchblick im Dschungel der Subventionsmilliarden Der Bund, 06.12.2004, von Hansueli Schöchli

Ein neues Buch verspricht Durchblick im Dschungel der Subventionsmilliarden
Der Bund, 06.12.2004, von Hansueli Schöchli«Eine Milliarde da, eine Milliarde dort – und ziemlich bald läppert sich das zu rechten Beträgen zusammen.» Diese Weisheit wird gerne einem verstorbenen US-Senator zugeschrieben. Sie könnte aber auch von einem Schweizer Politiker stammen – angesichts der Lockerheit, mit der die Politik auch hierzulande fremdes Geld verteilt und Hypotheken für die kommenden Generationen anhäuft.Politiker lieben das Verteilen. Sie können sich auf fremde Kosten «grosszügig» und «sozial» geben, sie füttern ihre Klientele, und die Rechnung für den Spass ist zwar real, aber oft so breit verteilt und schwierig zu ermitteln, dass die Zahler es nicht einmal so richtig merken – wenn sie überhaupt schon geboren sind.

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Immerhin: Der Ökonom und «Weltwoche»-Autor Markus Schneider hat nun dem wuchernden Umverteilungsstaat etwas auf die Finger geschaut. Er versuchte, bekannte Erkenntnisse aus Teilgebieten zu einem Gesamtbild* zusammenzusetzen. Dieses Bild ist nicht hübsch. Der Autor beschreibt es als eine Art Tinguely-Brunnen: «Es rattert, es quietscht, es kracht, es pufft, und vor allem spritzt es» – viele werden ein bisschen nass, und einige werden richtig nass. Wer zu wessen Kosten wie nass wird, ist die Frage. Auf Basis von Studien, Hochrechnungen und Schätzungen sieht die (unvollständige) Liste der Profiteure für 2003 – jeweils zulasten aller andern – etwa so aus:

Kranke/Invalide: 45,5 Mrd Fr.

Über 65-Jährige: 33,0 Mrd Fr.

Arme: 18,5 Mrd Fr.

Kinderlose: 13 Mrd Fr.

Bauern: 8 Mrd Fr.

Alpen/Jura: 7,5 Mrd Fr.

Bahn-/Busfahrer: 7,3 Mrd Fr.

Autofahrer: 6,2 Mrd Fr.

Frauen: 5,5 Mrd Fr.

50 bis 65-Jährige: 4,5 Mrd Fr.

Akademiker: 4,5 Mrd Fr.

Alkoholtrinker: 2,5 Mrd Fr.

Altmieter und

Wohneigentümer: 2,5 Mrd Fr.

Ausländer: 2 Mrd Fr.

Flugreisende: 1,5 Mrd Fr.

Jetzige Generationen: X Mrd Fr.

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Die Liste enthält Mehrfachzählungen. Bereinigt um diese dürfte das Umverteilungsvolumen pro Jahr laut Autor etwa 140 Milliarden Franken betragen. Auffällig: Nur ein kleiner Teil davon (18,5 Mrd Fr.) ist «klassische» Umverteilung – von den Reichen zu den Armen. Befund des Autors: «Ein fetter Staat ist nicht automatisch gerecht.»

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Am ehesten funktioniert die «klassische» Umverteilung bei der Sozialhilfe (zielgerichtet für die «wirklich Bedürftigen») und bei der AHV (ab 75 000 Franken Jahreslohn «zahlt man drauf»). Von vielen anderen Subventionen profitieren oft mehrheitlich Reiche – etwa von den tiefen Studiengebühren, vom subventionierten Umwandlungssatz bei den Pensionskassen und von Steuerabzügen für Pensionskassenbeiträge, Wohneigentum und das Sparen mit der Säule 3a.

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Noch vieles andere läuft schief. So etwa bei der Prämienverbilligung der Krankenkassen, von der bereits jeder dritte Haushalt profitiert – zu den Profiteuren zählen laut einer Studie dank happiger Steuerabzüge fast 20 Prozent des reichsten Fünftels der Haushalte. Oder bei den subventionierten Wohnungen: Diese kommen laut dem Autor nicht den Armen zugute, sondern Leuten mit Beziehungen – «darunter auffallend vielen Politikern». Schief ist die Tendenz auch in der Landwirtschaft: Wenig effiziente Betriebe erhalten besonders hohe Subventionen. Die klügsten Bauern sind laut dem Autor die Tabakbauern: Sie erhalten pro Kopf am meisten Subventionen (im Schnitt 57 000 Franken jährlich) – und dies für einen anerkannten Todbringer.

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Die Empfehlung des Autors: mehr Umverteilung von Reich zu Arm, massiv weniger Umverteilung zwischen allen anderen Gruppen. Einige Beispiele: radikal weniger Steuerabzüge, Steuergutschrift für Kleinverdiener, Einheitsrente bei der AHV, 5000 Franken Jahresfranchise bei der Krankenkasse. Die meisten Ideen des Buchs sind nicht neu. Zudem scheint nicht alles ganz widerspruchsfrei – so wäre ein Schrumpfen der Schweizer Bevölkerung laut dem Buch eher positiv, dennoch wird die Subventionierung von Kindern empfohlen. Doch insgesamt überzeugt der Autor durch erfrischenden Klartext.

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Solcher Klartext ist in Politik und Medien ziemlich selten – «Anbiederung statt Aufklärung» ist zu häufig die Devise. Darin liegt denn auch der Haken jeglicher Reformbemühungen. «Politisch», so werden die Wissenden in Bundesbern sagen, sind grosse Reformen «unrealistisch». Die Mechanik ist etwa die: (1) Subventionen sind Drogen – sie mögen zwar teuer sein und sogar dem Empfänger schaden, doch Entzug bringt einen Aufschrei. (2) Der Aufschrei einer Gruppe über den Verlust eines Frankens ist grösser als die Freude der anderen Gruppe über den Gewinn eines Frankens. (3) Die Effizienzgewinne eines Subventionsschnitts sind zwar real, doch schwierig auszumachen und oft breit verteilt – auch deshalb machen die potenziellen Gewinner weniger Lärm als die potenziellen Verlierer. (4) Darum lohnt es sich politisch meist nicht, für die Abschaffung einer Subvention zu kämpfen.

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Doch es gibt etwas Hoffnung. Die Einsicht über die Verschwendung des Subventiondschungels könnte vielleicht die Politik ermutigen, gelegentlich ein bisschen Rückgrat zu zeigen. Und es könnte vielleicht die Wähler ermutigen, solches Rückgrat gelegentlich ein bisschen zu honorieren.

*Markus Schneider: Idée suisse. 157 Seiten. Weltwoche-Verlag, Zürich. 2004.