SonntagsZeitung, 19.12.2004, von Armin MüllerZürich · Am Mittwoch hat der Ständerat beschlossen, die Prämienverbilligung in der Krankenkasse auf Familien mit mittleren Einkommen auszuweiten. Bund und Kantone sollen die Hälfte der Prämie für Kinder und für Jugendliche in Ausbildung subventionieren. Politiker von links bis rechts lobten sich für den «sozialen und familienfreundlichen Durchbruch». Bei genauerem Hinsehen bleibt davon leider nicht viel übrig.Heute werden die Krankenkassenprämien für mehr als die Hälfte aller Kinder verbilligt. Nach dem Beschluss des Ständerats erhöht sich ihr Anteil auf drei Viertel, falls die Kantone die Einkommensgrenze bei 90 000 Franken ansetzen. Setzen sie die Grenze bei 114 000 Franken, kommen 87 Prozent aller Kinder zu verbilligten Prämien.
Wie schon bei Kinderkrippenbeiträgen, Sozialhilfe oder Stipendien wird für die Anspruchsberechtigung auf das steuerbare Einkommen abgestellt. Das wirkt für Familien oft wie eine verschärfte Progression. Gut Verdienende dagegen können ihre steuerbaren Einkommen massiv reduzieren, dank Steuerabzügen für Pensionskasseneinzahlungen, dritte Säule, Wohneigentum oder Spesen bei Selbstständigen. «Im heutigen Steuerdschungel wird das Prinzip, wonach Steuern nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu erheben sind, systematisch missachtet», schreibt der Ökonom und Journalist Markus Schneider in einem neuen Buch über die Umverteilungswirkungen der Schweizer Politik. So versteuern Grossverdiener und Reiche nicht selten ein Einkommen von null Franken. Eine Nationalfondsstudie belegt, dass von den reichsten 20 Prozent fast jede fünfte Familie ihre Krankenkasse subventioniert erhält.
140 Milliarden Franken werden jährlich umverteilt
Im Ständerat wurde der Vorschlag der kantonalen Gesundheitsdirektoren, die Kinderprämie für alle zu streichen, mit dem Argument abgetan, das sei eine «unsinnige Giesskannenlösung». Dabei wäre die Giesskanne sozialer und billiger, wie Schneider nachweist: «Würden wir das ganze Volumen der heutigen Familientransfers von sieben Milliarden Franken (für Kinderzulagen, Steuerrabatte, Kinderkrippensubventionen) auf jedes Kind ausschütten, gäbe das pro Kind 300 Franken im Monat. Heute aber erhalten just die allein Erziehenden und unteren Schichten, die oft selbstständig, schwarz oder Teilzeit arbeiten, weniger bis nichts.» Und das ginge ohne bürokratischen Aufwand, während heute die Kantone über 500 Angestellte allein für die Prämienverbilligung beschäftigen.
Das ist typisch für die Umverteilung in der Schweiz. Zwar begründen Politiker jede Massnahme mit Gerechtigkeit oder sozialem Ausgleich. Aber sie bedienen in der Regel lediglich Sonderinteressen ihrer Wählerklientel. Wer wie viel einzahlt und wer wie profitiert, bleibt völlig undurchsichtig. Schneider versucht, Licht ins Dunkel zu bringen: Schätzungsweise 140 Milliarden Franken werden jährlich umverteilt – jeder dritte Franken, den die Schweizer verdienen. Von Reich zu Arm gelangen aber nur 18,5 Milliarden oder 13 Prozent. Das Fazit zweier Nationalfondsstudien: «Eine Einkommensumverteilung durch das System der Sozialen Sicherheit als Ganzes ist nicht festzustellen», «ein Haushalt an der Armutsgrenze oder darunter bekommt netto kaum mehr als einer mit deutlich überdurchschnittlichem Einkommen».
Der Umverteilungsstaat erreicht seine Ziele nicht, oft eher das Gegenteil, und das zu enormen Kosten. Schneider plädiert deshalb für einen «Neustart». Dabei geht es nicht um Sozialabbau. Der Begriff werde missbraucht, um Reformen zu verhindern: «Wer von Sozialabbau spricht, impliziert damit, dass die heutige Umverteilung besonders sozial sei. Das ist sie nachweisbar nicht.»
Die Ständeratsdebatte zeigt: Schneiders Buch gehört unter den Weihnachtsbaum jedes Politikers.
* Markus Schneider: «Idée suisse. Was das Land zusammenhält und wer dafür bezahlt». Weltwoche-Verlag, Zürich, 157 S., 39 Franken