Bund, 12.12.2003, von Hansueli SchöchliFrustrierte beklagen einen «Rechtsrutsch», Wirtschaftsverbände sehen ihre Wünsche erfüllt. Vereint sind alle in der Frage, was die neue Regierung konkret verändern kann. Die «Weltwoche», deren ungenierte Unterstützung der SVP manche Medien verärgert hat, kommt nun rechtzeitig mit einem vom Ökonomen Markus Schneider verfassten «Weissbuch» zur Sozial- und Steuerpolitik auf den Markt.Die Prämisse des Buchs: Arbeit muss sich mehr lohnen – für die Armen und die Reichen. Die wichtigsten Stichworte der Rezeptliste: Steuerreform, Kürzung der Sozialhilfe, stufenweise Erhöhung des Rentenalters, weiterer Abbau der Armee, endlich Markt für die Landwirtschaft, Kahlschlag im «Subventionsdschungel».Das Herzstück ist die Steuerreform. Der Autor schlägt einen gesamtschweizerisch fixen Steuersatz von 18 Prozent auf Erwerbs- und Kapitaleinkommen, die weitgehende Abschaffung von Abzügen und eine nationale Erbschaftssteuer anstelle der Vermögenssteuer vor. Eine jährliche Gutschrift von etwa 5000 Franken pro Kopf soll die Tiefverdiener entlasten und noch einen Hauch von Progression ermöglichen. Vorteile des Modells: Die Steuerbürokratie schrumpfte, Steuerberater (die ihren Kunden nützen, nicht aber der Volkswirtschaft) bräuchte es nicht mehr, und vor allem würden Arbeitsanreize weniger betäubt.
Politisch scheint die aus den USA stammende Idee des Einheitssatzes aber weiter chancenlos: Kantönligeist und die progressive Einkommenssteuer bleiben zu stark verankert. Allerdings erinnert der Autor daran, dass die Steuerprogression längst unterwandert ist. Die höchsten Steuersätze haben Sozialhilfebezüger: Wenn jeder zusätzlich verdiente Franken durch Kürzung der Sozialhilfe weggefressen wird, liegt der Steuersatz für diesen Zusatzfranken auf 100 Prozent. Manche der Bestverdienenden geniessen derweil nach dem Umzug in steuergünstige Zuger oder Schwyzer Gemeinden tiefere Steuersätze als der Mittelstand.
Der Kobra-Effekt
Bei Ökonomen ist ein Anliegen des Buchs kaum bestritten: möglichst tiefe Steuersätze, möglichst wenig Ausnahmen und Abzüge. Dem steht die Neigung der Politik entgegen, mittels Steuerabzügen alles Mögliche zu subventionieren – von den Kosten für den Arbeitsweg über den Liegenschaftsunterhalt bis zum Sparen via Säule 3a.
Der Autor attackiert auch die direkten Subventionen. Die Attacke ist schwierig, denn Subventionen sind Drogen: kaum mehr wegzukriegen, so schädlich sie auch sind. Die Liste süffiger Subventionsbeispiele reicht vom Tabakanbau (Förderung anerkannter Todbringer) über Hotelkredite (Förderung von Überschuldung) und den Presseversand (am meisten profitieren Migros, Coop und «Blick») bis zu Schützenvereinen (Förderung ökologisch schädlicher Aktivitäten).
Der deutsche Wirtschaftsprofessor Horst Siebert nennt es in Anlehnung an eine Geschichte aus dem kolonialen Indien den «Kobra-Effekt». Zur Bekämpfung einer Kobra-Plage offerierte die Regierung eine Prämie für jeden abgelieferten Kobrakopf. Folge: Die Inder begannen, Kobras zu züchten. Die Moral der Geschichte: Die Menschen sind nicht blöd – sie reagieren auf Anreize. Ob rechts oder links.