«Die nötigen Reformen kommen nicht gut voran» Volksstimme, Sissach, 18.12.2003, von Patrick Moser

«Die nötigen Reformen kommen nicht gut voran»
Volksstimme, Sissach, 18.12.2003, von Patrick Moser
Er sagt nicht mehr «Baasel», sondern «Basl», das lang gezogene «Züüri» ist dem ortskundigen «Zürri» gewichen und bejaht Markus Schneider etwas, dann heisst es nicht mehr «Joo», sondern «Jaa». Doch abgesehen davon merkt man dem Dialekt die Baselbieter Wurzeln des etablierten «Weltwoche»-Redaktors immer noch gut an.
Schneider, der soeben sein «Weissbuch 2004» veröffentlicht hat und kürzlich den renommierten Georg-von-Holtzbrinck-Preis für Wirtschaftspublizistik in Deutschland entgegennehmen durfte, wurde in Liestal geboren. Dort und in Lupsingen wuchs der heute 43-Jährige auf, sein Ökonomiestudium machte er an der Uni Basel.Zu dieser Zeit hatte er als freier Mitarbeiter der «Basler Zeitung» bereits seine journalistische Ader entdeckt. Schneider gehörte auch zu den Gründern des gescheiterten «Radio Ergolz». Weil nach dem Studium bei der BaZ keine Stelle frei war, zog es ihn in die Medienmetropole Zürich, wo er zunächst für die «Bilanz» schrieb. Heute blickt er auf eine zehnjährige Mitarbeit bei der «Weltwoche» sowie auf vier Jahre als Leiter der Bundeshaus-Redaktion von «Facts» zurück.«Basel hat etwas Hermetisches, Zürich ist offener. Hier hat es viele Bündner oder St. Galler. Ich finde es gut hier», sagt Schneider, auf den ewigen Basel-Zürich-Zwist angesprochen. Immerhin: Sein Herz schlägt – wie könnte es auch anders sein – noch immer für den FCB. «Ich gehe mir heute noch Spiele anschauen.» Wenn die Basler im Hardturm gleich um die Ecke zu Gast sind, nimmt der verheiratete Vater seine beiden 9- und 11-jährigen Söhne mit.

Im Alltag setzt sich Schneider mit ungleich trockenerer Materie auseinander: wirtschaftliche Betrachtung der Politik. Seine journalistische Arbeit zeichnet sich durch die verständliche Wiedergabe der meist sehr komplexen Themen aus. Ökonomisch nüchtern analysiert er die Mängel des Subventionsdschungels, des komplizierten Steuersystems oder der staatlichen Anreize für individuelle Leistung. «Viele meiner Artikel stehen in einem Zusammenhang», sagt Schneider. Das «Weissbuch 2004» habe er geschrieben, um die Logik dieser Zusammenhänge zu prüfen.

Dass der Titel «Weissbuch 2004» nicht zuletzt plakativ wirken soll, daraus macht Schneider keinen Hehl. Bereits 1991 und 1995 versuchten Weissbücher – erfolglos – dem Staat neue wirtschaftspolitische Impulse zu geben. «Weissbuch als Titel gehört von der Tradition her den Unternehmern. Im Grunde genommen handelt es sich dabei um nichts anderes als Empfehlungen zuhanden der Regierung», so Schneider.
«Die Schweiz braucht Reformen. Es gibt zwar bereits welche, aber sie kommen nicht gut voran», urteilt Schneider. Konservative Systembewahrer linker und rechter Prägung würden sich gegenseitig neutralisieren: «Jeder hockt auf seinem Status quo: Die einen wollen abbauen, die anderen haben Angst davor.»

In acht Kapitel aufgegliedert zeigt Schneider, was seiner Meinung nach schief läuft.

Einige Beispiele.
* Wollen sich Haushalte mit niedrigen Einkommen selbst aus dem Sumpf ziehen und zeigen sich erste Erfolge, zieht sich die öffentliche Hand sofort zurück, während auf der anderen Seite die Steuerbelastung steigt. Schneiders Fazit: «Rechnet man das zusammen, verlieren Sozialhilfeempfänger sehr viel.» Oder anders gesagt: Leistung wird bestraft.
* Während der Mittelstand immer mehr Steuern bezahlt, steigen Löhne und Transferzahlungen an Krankenkasse und Pensionskasse. Der Konsum geht folglich zurück. Schneider: «Die SVP ist die einzige Partei, die das richtig thematisiert; damit machen sie Stimmen.»
* Haushalte mit hohem Einkommen zahlen bei «geschicktem» Verhalten – wie beispielsweise einem Umzug in einen steuergünstigen Kanton – weniger als der Mittelstand. Schneider: «Ein Millionär im Kanton Zug mit einem steuerbaren Vermögen von fünf Millionen Franken zahlt nur rund 42 Prozent Steuern, während der Mittelstand im Schweizer Durchschnitt auf 50 Prozent kommt.»

Schneiders Rezept, um den Missständen entgegenzutreten, heisst «Flat tax», zu Deutsch: flache Steuer. In Deutschland wird dieses System bereits im Ansatz diskutiert, in einigen osteuropäischen Staaten sogar schon angewandt.

Beim «Flat tax»-Steuermodell werden den unteren Einkommen Steuergutschriften gewährt, was das System sozialer macht und den Mittelstand entlastet. Dafür muss der Staat aber die Steuersätze senken und darf aber im Gegenzug beim Einholen des Steuersubstrats keine Gnade mehr walten lassen. Viele der heutigen Abzüge fielen weg und zusätzliche Leistung würde nicht mehr «bestraft» – was auch den Reichen zugute käme.

«Sparen ist für einen Staat immer schwierig. Im Kapitel über Subventionen versuche ich zu zeigen, dass es trotzdem möglich wäre», sagt Schneider. Da bei den Sozialwerken realpolitisch höchstens marginal gespart werden könne, führten die Sparbemühungen automatisch zu einem «Verdrängungswettbewerb» unter den weiteren staatlichen Aufgaben. «Es wird relativ viel Unsinn gebaut», ortet Schneider konkretes Sparpotenzial.

Eine ketzerische Frage: Ist das Stimmvolk der Komplexität einer solchen Materie gewachsen? Wären in der direkten Demokratie der Schweiz derlei Reformen nicht zum Scheitern verurteilt? Schneider überlegt lange und sagt dann: «Der Souverän reagiert in der Regel ganz vernünftig, er hat eine Art natürlichen Reflex.» Der Basler Wirtschaftsprofessor Silvio Borner behaupte, dass das Volk bei vielen Reformen wohl nicht mitmachen würde. Er sei da nicht so sicher, sagt Schneider, der sich selbst als Optimisten bezeichnet.

Apropos Optimist: Das in den vergangenen zehn Jahren kaum existente Wirtschaftswachstum der Schweiz bereitet Schneider keine schlaflosen Nächte: «Ich sehe keinen Grund, warum wir kein normales Wachstum hinbekommen sollten», sagt er – um jedoch gleich ein Fragezeichen zu setzen: «Der Leistungsgedanke spielt eine grosse Rolle. Vielleicht fehlt es uns im Vergleich zu anderen Ländern teilweise tatsächlich ein wenig am Willen.»

Per Ende Januar hat Schneider seinen Vertrag mit der «Weltwoche» gekündigt. Er ist seit der Neuausrichtung (viele sagen: dem «Rechtsrutsch») unter Chefredaktor Roger Köppel beileibe nicht der Erste. «Vor den Wahlen war mir die Stellungnahme zugunsten der SVP zu stark», ist denn auch Schneiders Begründung. Er habe nichts gegen die Blocherpartei, verstehe sich aber als «unabhängigen Journalisten». Mit Köppel habe er jedoch nach wie vor ein gutes Verhältnis.

So will Schneider in seiner künftigen Funktion als freier Journalist weiterhin für die «Weltwoche» arbeiten. «Ich habe die Zeitung gerne», sagt er. Das oft als ominös bezeichnete, weil anonyme Aktienpaket von 20 Prozent am Herausgeber-Verlag Jean Frey AG ist für Schneider kein Thema: «Bei anderen Verlagen gibts das auch.» Er selbst habe übrigens auch einige Aktien in seinem Besitz.

Vom «Weissbuch 2004» erwartet der bescheiden wirkende Journalist keine Impulse, die das Land in seinen Grundfesten erschüttern. Und schon gar nicht sucht er das politische Rampenlicht: «Ich wüsste nicht in welcher Partei…» Es sei gut, wenn das Buch die Diskussion belebe. Er wolle den politischen Prozess nicht direkt beeinflussen, sondern auch in Zukunft schlicht «beobachten und berichten».

Ein einziges Mal war Markus Schneider politisch aktiv. Es war Anfang der 80er-Jahre in seinem damaligen Wohnort Liestal: Der Stadtrat wollte ein neues Schützenhaus und im Schwimmbad einen Sprungturm bauen – und hatte die Rechnung ohne die Jugendgruppe «Grönland» gemacht, welche für das Geld lieber ein Jugendhaus gehabt hätte.

«Aus Trotz» sammelten Schneider und Konsorten in Rekordzeit Unterschriften für das Referendum. An der Urne siegten sie überlegen. Ein Jugendhaus gabs zwar trotzdem nicht. Aber noch heute freut sich Schneider über den Überraschungserfolg. Vor allem über die konsternierte Reaktion des damaligen, 1994 verstorbenen Stadtpräsidenten Hans Brodbeck. Als dieser 1987 zurückgetreten sei und sein politisches Schaffen bilanziert habe, habe er den Widerstand gegen den Sprungturm «aus diffusem Kreis» als etwas vom Unverständlichsten in seiner Politkarriere bezeichnet, erinnert sich Schneider lachend.

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