«Schweizer Steuersystem ist ungerecht» Aargauer Zeitung, 03.01.2004, von Thomas Knellwolf

«Schweizer Steuersystem ist ungerecht»
Aargauer Zeitung, 03.01.2004, von Thomas Knellwolf
In seinem Weissbuch fordert «Weltwoche»-Autor Markus Schneider gleiche Steuersätze für alle. Jede Steuererklärung hätte auf einem Bierdeckel Platz, und sozial gerecht wäre sein System obendrein, behauptet der Autor. Stimmt seine Rechnung, wem nützen seine radikalen Ideen?Herr Schneider, Ihr Buch erscheint rechtzeitig zum Rechtsrutsch im Bundesrat. Stellt es ein Wirtschaftsprogramm für Christoph Blocher und Hans-Rudolf Merz dar?Markus Schneider: Ein Weissbuch ist immer eine Empfehlung für eine Regierung. Mein Buch macht Reformvorschläge. Ich bin aber kein Programmschreiber für Blocher oder Merz.

Lob kam bereits vom ehemaligen SP-Präsidenten Peter Bodenmann. Überraschend?

Schneider: Auf den ersten Blick könnte man meinen, mein Buch sei in der Tradition der schweizerischen Weissbücher (vgl. Kasten) rechts positioniert. Es stehen aber einige Sachen drin, die für die Linke sehr interessant sind. Ich will nicht Ideologe sein, sondern nahe bei den Fakten bleiben. Zum Beispiel bei den Steuern: Da zeige ich auf, dass das heutige progressive System nicht erreicht, was es soll. Eigentlich müssten die Reichen prozentual mehr Steuern bezahlen als die weniger Reichen. Meist liefert aber der Mittelstand in Prozent bedeutend mehr ab als die reichste Schicht.

Ihre Forderung nach einem für alle einheitlichen Steuersatz, einer «Flat Tax», ist eine traditionelle rechte Forderung…

Schneider: Sie ist bislang von rechts propagiert worden, zum Beispiel vom US-Milliardär Steve Forbes oder vom österreichischen Rechtsaussen Jörg Haider. Wenn man aber die Idee eines einheitlichen Steuersatzes kombiniert mit pauschalen Abzügen oder mit Steuergutschriften, die unteren Einkommen zugute kommen, ist sie durchaus sozial.

Trotzdem: Es leuchtet nicht so einfach ein, wieso ein System mit einheitlichem Steuersatz sozial gerechter sein soll als ein progressives.

Schneider: Das heutige progressive System lässt sich viel zu leicht umgehen. Die Reichsten ziehen etwa in für sie steuergünstige Gemeinden. Freienbach SZ oder Gemeinden im Kanton Zug haben Höchststeuersätze, die in Basel oder im Jura bereits für Mittelstandsfamilien gelten. Allein das ist ungerecht. Durch weitere Massnahmen wie Häuserrenovationen, die noch weiter gefördert werden sollen, oder wie Kaderpensionen können die Reichen viel Geld sparen. Das Steuergesetz lässt zu viele Möglichkeiten für Abzüge.

Sie schlagen also einen einheitlichen Steuersatz von 18 Prozent ohne Möglichkeiten für Abzüge vor…

Schneider: Ja, und mit diesem Steuersatz komme ich in einer Modellrechnung auf fast gleich viel Steuereinnahmen, wie wir sie heute haben. Das glaubt auf den ersten Blick niemand, aber auch Mitarbeiter der Eidgenössischen Steuerverwaltung haben nachgerechnet und meinen Befund bestätigt.

Wie soll die Rechnung aufgehen?

Schneider: Die Verluste durch den Umzug von Reichen an steuergünstige Orte würde ebenso wegfallen wie die unzähligen Möglichkeiten für Abzüge in einer Steuererklärung. Ein Beispiel: Mir mit meinem guten Mittelstandseinkommen ist es schon passiert, dass ich dank Renovationen in unserem Eigenheim so viel vom steuerbaren Einkommen abziehen konnte, dass ich Krankenkassen-Subventionen bekam. Das kann doch nicht sein.

Dass sich den Reichen beim Steuernzahlen Schlupflöcher bieten, ist bekannt. Wie kommen Sie aber darauf, dass die Armen und Ärmsten in der Schweiz nicht vom progressiven Steuersystem profitieren?

Schneider: Arme und Ärmste zahlen in gewissen Kantonen auch mit tiefen Einkommen verhältnismässig hohe Steuern. Eine Familie, die in der Stadt Basel über ein Einkommen von 46 000 Franken netto verfügt, bezahlt Krankenkassen-Prämien von 5800 Franken und Steuern von 2500 Franken. Da bleibt nicht mehr viel. Vielleicht würde es sich für diese Familie finanziell lohnen, nicht mehr zu arbeiten und Sozialhilfe zu beziehen. Hier sind die Anreize falsch gesetzt. Die «working poors» dürfen nicht noch bestraft dafür werden, dass sie zu mikrigen Löhnen arbeiten. Ein anderes Problem: Wenn ein Sozialhilfeempfänger anfängt zu arbeiten, muss er den allergrössten Teil des verdienten Gelds abgeben und darf nur 250 Franken behalten. Auch hier müsste sich Arbeiten mehr lohnen.

Wenn aber alle 18 Prozent Steuern bezahlen müssten, würden die Armen noch mehr zur Kasse gebeten als bisher.

Schneider: Das stimmt. Um dies zu verhindern, müsste man einen einzigen pauschalen Abzug auf der Steuererklärung zulassen. Ich habe ihn bei 50 000 Franken pro Familie angesetzt. Wer unter 50 000 verdient, würde keine Steuern bezahlen. Eine andere Möglichkeit wäre, jedem Steuerzahler abgestuft Steuergutschriften zu leisten. So fände doch eine sozial gerechte Umverteilung statt.

Wie man auch rechnet: Nach Ihrem Modell bleibt dem Staat letzten Endes weniger Geld. Wo würden Sie da sparen?

Schneider: Dem Staat würden gegenüber heute etwa 5 Milliarden Franken fehlen. Etwa derselbe Betrag, wie wenn das neueste Steuerpaket durchgesetzt würde. Vielleicht hat aber der Staat mit einer «Flat Tax» gar keine tiefere Einnahmen, denn einzelne Ökonomen sagen, dass tiefere Steuersätze der Wirtschaft positive Anreize liefern. Das wiederum würde ein Mehr an Steuern bringen, ist aber im Einzelfall schwierig zu beweisen. Ich würde jedoch bei den Subventionen ansetzen.

Wo konkret?

Schneider: Zum Beispiel bei der Wohnbau-Förderung. Statt mit viel Geld das Wohneigentum zu fördern, gäbe der Staat besser Steuergutschriften. Viele kleine Subventionen könnte man abschaffen; die Leute hätten ja Steuergutschriften. Bei den Ausgaben für die Landwirtschaft würde ich radikal kürzen. Seit Jahrzehnten wird etwa ohne jeden Erfolg der Wein- oder Käseexport gefördert.

Würden Ihre Ideen verwirklicht, würde der Steuerwettbewerb unter Kantonen und unter Gemeinden, den sie hochloben, wegfallen.

Schneider: Dies ist tatsächlich ein ungelöstes Problem bei meinem Modell. Um dies zu umgehen, könnte man aber als Erstes bei der Bundessteuer eine «Flat Tax» einführen. Ein einheitlicher Steuersatz in allen Kantonen lässt sich politisch ohnehin nicht durchsetzen. Da ist der Föderalismus zu stark.

KASTEN: Drei Weissbücher und viele rote Köpfe

Im Jahr 1991, kurz vor den eidgenössischen Wahlen, erschien das erste schweizerische Weissbuch. Verfasst hatte es ein junger Ökonom der Hochschule St. Gallen namens Peter Moser, herausgegeben sein Professor Heinz Hauser. Die Finanzierung stellte die mächtige Max-Schmidheiny-Stiftung sicher, unterzeichnet haben das Weissbuch I die Chefs globaler Konzerne wie Stephan Schmidheiny, Fritz Leutwiler oder Helmut Maucher. Das «Manifest der Unternehmer» erregte nur kurzes Aufsehen.

Der zweite Anlauf brachte die Wirtschaftselite mehr ins Rampenlicht. Das Weissbuch II, aus der Feder Heinz Hausers, mit dem Titel «Mut zum Aufbruch» erschien 1995 und sollte eine «wirtschaftspolitische Agenda für die Schweiz» liefern. Die Provokation löste heftige Reaktionen aus.

Ist Schneiders Weissbuch III ein «Spätzünder der Neoliberalen», wie SP-Nationalrat Rudolf Strahm anmerkt? Schneider selbst versteht seine Schrift als «Sozialkapitel» in der Weissbuch-Tradition. Seine Forderungen sind «radikaler» (so der «NZZ»-Publizist Beat Kappeler) als jene seiner Vorgänger. Die Idee eines einheitlichen Steuersatzes von 18 Prozent – schweizweit und für alle Einkommen – wäre ohne Abfederung äusserst unsozial. Kombiniert mit Steuergutschriften für tiefe Einkommen wird sie aber plötzlich auch für linke Politiker interessant, wie das Beispiel der PDS in Deutschland auf eine ähnliche Initiative der Christlichdemokraten oder aber die Reaktion Peter Bodenmanns auf Schneiders Buch zeigen. Bodenmann, der die Forderung nach «unsozialem Strukturwandel» im Weissbuch II mit aller Schärfe verurteilte, findet, die Schweizer Linke müsse den Faden des «Weltwoche»-Autors aufnehmen, «weil Schneider eine ganze Reihe von real existierenden Missständen thematisiert».

Wo das Weissbuch III Ungerechtigkeit des schweizerischen Steuersystems beschreibt, scheint es unbestritten, wo es Lösungsansätze formuliert, löst es bereits harsche Kritik aus. Der SP-Finanzpolitiker Rudolf Strahm kritisiert den Autor als «Nichtfachmann, der von Steuerfragen nichts versteht». Von der Einfachheit der Modelle fasziniert, übersehe Schneider die Knacknüsse des Vollzugs – zum Beispiel bei der Besteuerung nicht vertraglich festgelegter Löhne oder bei der Kantonshoheit in Steuerfragen. Strahm sieht in der Forderung nach einer «Flat Tax» «nur eine wissenschaftlich kaschierte Rechtfertigung, die Reichen steuerlich zu entlasten». Die Sozialdemokraten werden aber nichtsdestotrotz die «Flat Tax» intern diskutieren. Strahm könnte sich einen Kompromiss vorstellen. (tk)

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