Die Angst vor dem gefrässigen Sozialstaat
Aargauer Zeitung, 19.07.2004, von Christoph Bopp
Aargauer Zeitung, 19.07.2004, von Christoph Bopp
Soziale Sicherheit ist ein verfassungsmässiges Ziel. Ob es eine Art Menschenrecht ist oder ob wir einfach nicht wollen, dass zu viele Arme auf den Strassen herumbetteln, spielt keine so grosse Rolle. Sicher ist, dass es etwas kostet. Finanziert werden die Versicherungen durch Prämien: von den Versicherten, den Arbeitgebern und der öffentlichen Hand. Organisiert ist das System in 10 einzelnen Versicherungen: die AHV, die IV, Ergänzungsleis-tungen zu AHV und IV, Berufliche Vorsorge, Erwerbsersatzordnung, Arbeitslosenversicherung, Obligatorische Krankenversicherung, Obligatorische Unfallversicherung, Familienzulagen und Militärversicherung. Dazu kommt noch die Sozialhilfe.Ein kompliziertes System, das dazu noch in Etappen gewachsen ist ohne dass eine Gesamtkonzeption zugrunde gelegt worden wäre. Der Soziologe Kilian Künzi und der Ökonom Markus Schärrer haben diesen Dschungel zu durchforsten versucht. Herausgekommen ist eine Unmenge von Tabellen mit dem Resultat, dass die von den Politikern immer wieder beschworene «Umverteilung» praktisch nicht stattfindet. Die AHV-Renten gleichen Einkommensunterschiede im Alter aus, die 2. Säule verstärkt sich eher wieder – falls dies nicht so wäre, würde das überraschen. Erwerbstätige Haushalte zahlen im Durchschnitt jährlich 13 Prozent mehr ein als sie erhalten.Für Reformüberlegungen sind die Zahlen (auch wenn die Daten aus dem Jahr 1998 stammen) wahrscheinlich unverzichtbar. Von der Idee her müsste man sich an eine Vereinfachung des Systems machen, vielleicht wie dies Markus Schneider vorgedacht hat.
Kilian Künzi/Markus Schärrer: Wer zahlt für die Soziale Sicherheit und wer profitiert davon?. Eine Analyse der Sozialtransfers in der Schweiz. NFP 45 Probleme des Sozialstaats. Verlag Rüegger Zürich/Chur 2004. 236 S. Fr. 45.-.
Markus Schneider: Weissbuch 2004. Rezepte für den Sozialstaat Schweiz. Jean Frey Weltwoche-Verlag Zürich 2003. Fr. 39.-.