Neue Zürcher Zeitung, 12.07.2004, von Markus Hofmann
Die Grundidee der Flat Tax besteht in einem einheitlichen Steuersatz für alle, die sich über einem bestimmten steuerfreien Niveau befinden. Eigenheimbesitzer, selbständig Erwerbende, Eltern und viele andere kommen nicht mehr in den Genuss spezifischer Abzüge, vielmehr gibt es nur noch einen Abzug. Im Flat-Tax-Modell von Leysinger würden alle mit einem Einkommen unter 50 000 Franken von der Steuer befreit. Alle Löhne darüber würden mit gerade einmal 15 Prozent besteuert. Da Leysinger die Definition des Einkommens weiter fasst als heute üblich, ergäbe dies nach seinen Berechnungen ein gleich hohes Steueraufkommen wie mit dem geltenden Steuersystem. Auf ähnliche Weise würde auch die Unternehmenssteuer vereinfacht. Leysinger ist nicht der Einzige, der die Flat Tax für die Schweiz durchgerechnet hat. Auch der Wirtschaftsjournalist Markus Schneider schlägt in seinem «Weissbuch 2004» (Jean-Frey-Verlag 2004) einen einheitlichen Steuersatz von 18 Prozent vor, ohne dass der Staat deswegen verbluten würde.
Ausnahmen erzeugen Ungerechtigkeiten
Die Idee der Flat Tax ist bestechend. Insbesondere Transitionsländer haben die Chance, die Steuergesetze neu zu schreiben, genutzt und sie teilweise eingeführt. Zu den Vorreitern der Flat Tax gehören in Europa Länder wie Estland, Russland und die Slowakei. Hierzulande sind aber im Bereich der Steuerpolitik viele Füchse schnell einmal des Hasen Tod. Die hiesige Steuermentalität sei noch sehr im Abzugsdenken verhaftet, sagt Leysinger. Denn mit dem Kampf um Abzüge liesse sich die politische Klientel ideal umwerben. Als Beispiel nennt Leysinger die Motion von SP- Nationalrat Boris Banga, der verlangt, dass der Feuerwehrsold von der Steuer befreit werde. «Das ist ja grundsätzlich keine schlechte Idee, denn die Feuerwehr verrichtet eine Aufgabe für das Gemeinwesen.» Doch solche Ausnahmen im Steuersystem zögen viele Nachteile nach sich. Es gäbe Definitions- und Abgrenzungsprobleme, die Ungerechtigkeiten erzeugten und den Gesetzgeber, die Verwaltung und zuletzt die Justiz beschäftigten. Zudem weckten Ausnahmen weitere Ansprüche. «Wenn die Feuerwehrleute von der Steuer befreit sind, wieso sollen dann die Spitex- Schwestern, die ebenfalls einen gemeinwohlorientierte Arbeit verrichten, nicht auch in diesen Genuss kommen?», fragt Leysinger.
Ein grosser Teil der Verwaltung lebt von einem komplizierten Steuersystem. Die Steuerbeamten zeigen sich deshalb wenig begeistert, wenn sie dank einer Einheitssteuer das Wissensmonopol über den Steuerirrgarten verlieren. Allerdings denkt Leysinger nicht, dass in der Steuerverwaltung vielen Mitarbeitern gekündigt werden müsste. Da nicht mehr die Legalität vieler Abzüge überprüft werden müsste, könnten sich die Steuerkommissare darauf konzentrieren, dass auch wirklich alle ihre Steuer bezahlten. Doch es sind nicht nur Staatsangestellte, die vom undurchschaubaren Steuersystem profitierten. Es ist vor allem auch die Branche der Steuerberater selber. Auf mindestens 700 Millionen Franken schätzt Leysinger den Beratermarkt. Bei 2500 Kollegen ergibt dies ein durchschnittliches stolzes Jahresgehalt von 280 000 Franken. Wenn er 49 Jahre alt wäre, scherzt Leysinger, der kurz vor der Pensionierung steht, würde er nicht für die Flat Tax die Trommeln wirbeln.
Reizwort
Doch auch wenn Leysinger seine Idee von vielen Seiten gefährdet sieht, so lebt in ihm noch immer ein Fünkchen Hoffnung. Anfang Juni haben ihn gar ein paar SP-Parlamentarier zu einem informellen Treffen eingeladen. Da der Vorstoss zur Einführung einer Flat Tax oft aus der rechten politischen Ecke vorgebracht wird, ist sie für viele Linke ein Reizwort. Die Berner SP- Ständerätin Simonetta Sommaruga war am Gespräch mit Leysinger dabei. Sie zeigt sich durchaus angetan von dessen Analyse. «Das heutige Steuersystem ist intransparent, ineffizient und ungerecht, da gebe ich Leysinger Recht», sagt sie. Eine Reform sei eine «absolute Notwendigkeit», auch weil es politisch kaum durchsetzbar sei, Steuerschlupflöcher zu stopfen. Allerdings bedeute eine Übereinstimmung in der Analyse nicht, dass ihre Antwort auf die Misere «Flat Tax» laute. Bevor man grundsätzliche Änderungen einführe, gelte es, zu verstehen, wie das Steuersystem genau funktioniere. Sommaruga fordert den Bundesrat in einer Interpellation auf, aufzuzeigen, wer von den Steuerabzügen profitiert. Sie sei gespannt, ob es dem Bundesrat gelinge, hier Transparenz zu schaffen. Die Idee eines stark vereinfachten Steuersystems taucht auch im freisinnigen Erneuerungsprozess «Avenir radical» als Projekt Nummer 10 auf. Ob es die parteiinterne Vernehmlassung überlebt, wird sich im September an der sogenannten liberalen Landsgemeinde herausstellen. Und im Finanzdepartement ist ein Arbeitspapier zur Flat Tax vorhanden, wie der freisinnige Bundesrat Merz kürzlich der NZZ in einem Interview verriet.
Die Jungen sollen es richten
Leysinger hat allerdings seine Zweifel daran, ob die ältere Generation solch tiefgreifende Reformen anpacken kann. Er setzt seine Hoffnungen auf Mitglieder des jungen und politisch interessierten Mittelstandes, für die die momentane Situation am schmerzhaftesten ist. Denn der junge Mittelstand könne in der Regel nicht von grosszügigen Abzügen profitieren und verfüge auch nicht über die finanziellen Mittel, um sich einen Steuerberater leisten oder gar in Steueroasen flüchten zu können. In der Tat finden sich ein paar Jungpolitiker, die für die Flat Tax werben, nämlich die Jungfreisinnigen der Stadt Zürich, die im April ein entsprechendes Forderungspapier veröffentlicht haben. Die Resonanz darauf sei allerdings sehr bescheiden ausgefallen, sagt Roland Keller, Chef Politischer Beirat der Jungfreisinnigen der Stadt Zürich. Die Medien hätten überhaupt nicht reagiert, und parteiintern seien die Bewertungen von «spannend» bis «ihr spinnt» ausgefallen. Nun soll das Papier im Parteiblatt «Freisinn» publiziert werden und damit der Mutterpartei besser bekannt gemacht werden. Man beabsichtige auch, Podiumsdiskussionen durchzuführen, sagt Keller. Es gelte, die Abwehrhaltungen gegenüber der Flat Tax, die er von vielen Seiten her spüre, abzubauen.