Tages-Anzeiger, 11.08.2004, von Iwan StädlerWorin unterscheidet sich der Einbau einer Designerküche von einer Luxusreise in die Karibik? Für gewiefte Steueroptimierer ist klar: Die Küche darf man von den Steuern abziehen, die Reise nicht.Auf diese Weise verleitet uns der Staat, das eine dem anderen vorzuziehen. Doch damit nicht genug: Der Staat verleitet uns auch, die Küche zum richtigen Zeitpunkt zu erneuern. Zum Beispiel, wenn die Kinder zu studieren beginnen. Mit Hilfe des Kücheneinbaus und wenn nötig einiger weiterer Renovationen sinkt das steuerbare Einkommen genügend stark, sodass die Kinder Stipendien beziehen können. Das ist zwar grotesk, aber Schweizer Steueralltag.Vor allem Spitzenverdiener müssen die vielen Abzüge kennen, denn bei ihnen schenken sie am meisten ein. Sie müssen zum Beispiel wissen, dass sie einen beträchtlichen Teil ihres Einkommens in der Pensionskasse verstecken und damit an den Steuern vorbeischleusen können. So lassen sich jährlich Zehntausende von Steuerfranken sparen.
Die Eier legende Wollmilchsau gibt es nicht
Gerecht ist das nicht, aber legal – und für die Steuerberater ein gutes Geschäft. Sie profitieren davon, dass kaum einer mehr den Überblick hat über all die Abzüge mit ihren komplizierten Regeln. Viele Steuerschlupflöcher lassen sich daher nur mit fachmännischer Hilfe finden. Und dafür lassen sich die Berater fürstlich entlöhnen. Michael Leysinger – selbst Steuerberater in Solothurn – schätzt das durchschnittliche Einkommen seiner 2500 Schweizer Berufskollegen auf 280 000 Franken pro Jahr. Macht insgesamt 700 Millionen Franken für eine Tätigkeit, die volkswirtschaftlich nichts bringt.
Auch die Steuerbeamten, die das Abzugswesen überwachen, tragen wenig zur Wertschöpfung bei. Sie kontrollieren zum Beispiel, ob das abgezogene Arbeitszimmer tatsächlich zum Arbeiten benötigt wird – oder ob darin geschlafen wird. Das bindet Arbeitskräfte, die man für sinnvollere Tätigkeiten einsetzen könnte.
Schliesslich erschwert das komplizierte Steuersystem auch das Ausfüllen der Steuererklärung. Der Zürcher Journalist und Ökonom Markus Schneider schlägt deshalb in seinem «Weissbuch 2004» eine radikale Vereinfachung vor. Er vertritt wie der Solothurner Steuerberater Michael Leysinger die Idee einer so genannten Flat Tax – und hat damit ein grosses Medienecho ausgelöst.
Setzt man die Flat Tax konsequent um, hätte die Steuererklärung auf einer Postkarte Platz. Vieles fiele weg: Abzüge wären nicht mehr zugelassen, kantonale Unterschiede gäbe es keine mehr, und auch die Progression würde abgeschafft. Stattdessen müssten alle Schweizerinnen und Schweizer ihr Einkommen zum Einheitssatz von 18 Prozent versteuern. Als sozialen Ausgleich schlägt Schneider eine Steuergutschrift vor, die mit dem Steuerbetrag verrechnet werden dürfte: Pro Erwachsenen und pro Kind gäbe es 5000 Franken, für allein Erziehende 7500 Franken.
So würden laut dem «Weissbuch» alle entlastet: die Armen, die Reichen und der Mittelstand. Doch nun wecken Berechnungen der Eidgenössischen Steuerverwaltung Zweifel, ob die Flat Tax tatsächlich als Eier legende Wollmilchsau taugt. Die Steuerverwaltung kommt zum Schluss, dass der Mittelstand mit der Flat Tax noch stärker geschröpft würde als heute (TA vom Dienstag).
Damit ist die Diskussion um die Flat Tax wohl beendet, bevor sie richtig begonnen hat – auch wenn die Verwaltung mit anderen Eckdaten gerechnet hat als der «Weissbuch»-Autor. Von links bis rechts winken die Politiker ab. Selbst die Freisinnigen. Sie hatten die Flat Tax im Rahmen ihres Reformprogrammes Avenir radical noch als zukunftsweisendes Projekt vorgeschlagen. Jetzt sagt FDP-Präsident Rolf Schweiger: «Die Vereinfachung des Steuersystems darf nicht auf Kosten des Mittelstands gehen.» Kommt hinzu, dass die Bürgerlichen den Steuerwettbewerb unter den Kantonen nicht aufheben wollen.
Vertrauen der Bevölkerung untergraben
Und jetzt? Ist mit der Flat Tax auch die Diskussion über die Abzüge erledigt? Keineswegs! Wer gegen die Flat Tax ist, muss noch lange nicht für die zum Teil unsinnigen Abzüge sein. Es gibt keinen Grund, sich zufrieden zurückzulehnen. Das Finanzdepartement sollte stattdessen jeden einzelnen Abzug auf seine Berechtigung untersuchen: Warum wurde er eingeführt? Macht er noch Sinn? Welche Einkommensklassen profitieren? Ist das gerecht? Finanzminister Hans-Rudolf Merz muss dabei nicht bei null beginnen. Eine «Expertenkommission Steuerlücken» hat vor sechs Jahren bereits Vorarbeit geleistet.
So ist es zum Beispiel durchaus sinnvoll, die Altersvorsorge von den Steuern zu befreien. Auf diese Weise entsteht ein Anreiz, fürs Rentenalter zu sparen. Für die Sparenden sinkt damit die Wahrscheinlichkeit, dereinst Ergänzungsleistungen vom Staat beziehen zu müssen. Ab einem bestimmten Betrag macht diese Argumentation aber keinen Sinn mehr. Ein Manager, der jährlich 500 000 Franken verdient, wird ohnehin kaum je Ergänzungsleistungen beantragen. Hier verkommt die gut gemeinte Förderung der Altersvorsorge zum Steuerschlupfloch. Die «Expertenkommission Steuerlücken» hat deshalb vorgeschlagen, den versicherbaren Lohn bei der zweiten Säule auf 230 000 bis 300 000 Franken zu beschränken. Doch das Parlament machte nicht mit. Es hatte Mitleid mit den Spitzenverdienern und setzte die Limite bei 760 000 Franken an.
Die Folgen einer solchen Politik sind verheerend: Wenn Millionäre dank der vielen Abzüge null Franken Einkommen versteuern, untergräbt dies das Vertrauen der Bevölkerung. Die Steuerschlupflöcher gehören deshalb gestopft. Im Gegenzug könnte der Bund den Grundabzug erhöhen und die Progression etwas verflachen. So würden alle profitieren – nicht nur jene, welche die Schlupflöcher zu nutzen wissen.
Die Steuerberater profitieren davon, dass kaum einer mehr den Überblick hat.