NZZ am Sonntag, 08.08.2004, von Daniel Hug
Das Rezept, das die beiden amerikanischen Ökonomen Alvin Rabushka und Robert Hall 1981 vorgeschlagen haben, tönt verlockend: ein einheitlicher, tiefer Steuersatz für alle, ob Reich oder Arm. Die Leute würden mehr arbeiten, die Wirtschaft florierte. Die Steuererklärung wäre im Nu ausgefüllt, da nur noch ein Pauschalabzug pro Person gestattet würde. Die Befürworter der Flat Tax in der Schweiz versprechen obendrein, der geplagte Mittelstand käme in Genuss tieferer Steuerrechnungen.Das Konzept tönt so verführerisch, dass Bundesrat Hans-Rudolf Merz ein Arbeitspapier dazu erarbeiten liess. Nun liegen erstmals konkrete Berechnungen vor, wie sich die Einführung eines einheitlichen Steuersatzes im ganzen Land auswirken würde (siehe Tabelle). «Die Flat-Rate-Tax entlastet die untersten Einkommensklassen und ganz oben», sagt Kurt Dütschler, Chef der Abteilung Steuerstatistik bei der Eidgenössischen Steuerverwaltung. «Die obere Schwelle, bei der die Leute mit der Einheitssteuer besser fahren, liegt bei etwa 200 000 Fr.» Doch in dieser Höhe bewegen sich in der Schweiz weniger als 5% der Steuerpflichtigen.Die Modellrechnung der Eidgenössischen Steuerverwaltung basiert auf den empirischen Daten von über vier Millionen Steuerpflichtigen und ist die bisher detaillierteste Überprüfung der Einheitssteuer-Idee in der Schweiz. Sie geht davon aus, dass ausser den Sozialversicherungsbeiträgen (AHV, IV, ALV, Pensionskasse) keinerlei Abzüge mehr zulässig sind. Stattdessen dürfen pauschal 20 000 Fr. pro Person abgezogen werden. Das entspricht einem Monatseinkommen von 1660 Fr. und liegt in der Nähe des Existenzminimums. Alleinerziehende und Familien dürfen überdies 10 000 Fr. für jedes Kind subtrahieren.
Höhere Steuerrechnung
Wie wirkt sich nun ein einheitlicher Steuersatz konkret aus? Für eine ledige Person in Zürich mit 80 000 Fr. Einkommen fällt die Steuerrechnung 47% höher aus als bisher; falls sie in Bern wohnt, beträgt der Aufschlag 20%. Auch Ehepaare – mit und ohne Kinder – müssten tiefer in die Tasche greifen. Nur in Bern würde die vierköpfige Familie mit der Flat Tax günstiger fahren. Ähnlich sieht das Bild für ein Einkommen von 100 000 Fr. aus. Naturgemäss hängen die Resultate stark von den Annahmen des Modells ab. Warum wählen die Berner Statistiker einen Einheitssteuersatz von 24%? Mit dem bisherigen System der Einkommenssteuer haben Bund, Kantone und Gemeinden im Jahr 2001 gut 40 Mrd. Fr. eingenommen. Würde man den einheitlichen Steuersatz bei 18% ansetzen, wie dies etwa der Autor des «Weissbuchs 2004», Markus Schneider, vorschlägt, resultiert ein Loch von 8 Mrd. Fr. Das Defizit beliefe sich auf rund einen Fünftel der Summe, die bisher über die Einkommenssteuer der öffentlichen Hand zufloss, sagt Lukas Schneider von der Steuerverwaltung. Wählt man eine Flat Tax von 15%, fehlen Bund, Kantonen und Gemeinden gar 13,5 Mrd. Fr. Nur wenn ein Satz von 24% gewählt wird, fliessen die Steuereinnahmen so reichlich, dass wieder ein Steuerertrag von 40 Mrd. Fr. erreicht wird. Dütschler betont jedoch, dass die Berechnungen rein statischer Natur seien und mögliche Wachstumseffekte, welche die Einheitssteuer entfachen könnte, nicht berücksichtigen.
Die feinen Unterschiede
Trotzdem ist der Befund ernüchternd. Zumal Schneider vorgerechnet hat, dass man schon mit einer 18-prozentigen Flat Tax auf Einnahmen von 47 Mrd. Fr. kommen müsste. Doch er verwendet nicht so hohe Pauschalabzüge wie im Modell der Steuerverwaltung, sondern sieht Steuergutschriften von 5000 Fr. pro Person vor. Zudem berechnet er die Steuer von 18% vom Bruttoeinkommen vor allen Sozialabzügen. Die Steuerverwaltung berechnet die Steuerlast aber – wie heute üblich – stets nach Sozialabzügen (einem Verdiener von 100 000 Fr. bleiben im Schnitt nach AHV, IV, ALV und Pensionskassenabzug bloss etwa 85 000 Fr.). Dieser Unterschied erklärt schon etwa zur Hälfte, warum der Flat-Tax- Satz von Schneider viel tiefer ist.
«Ich glaube nicht, dass ein Einheitssteuersatz von 16 oder 18% genügen würde, um in etwa das gleiche Steuersubstrat zu erzielen wie heute», sagt Professor Gebhard Kirchgässner, der sich seit Jahren mit steuerpolitischen Fragen beschäftigt. «Ich vermute, dass man dazu eher einen Satz um 25 Prozent braucht.» Warum? «Die obersten 5 bis 10% der Steuerpflichtigen zahlen bei der direkten Bundessteuer einen sehr hohen Anteil, da die Steuer stark progressiv ausgestaltet ist. Werden sie steuerlich entlastet, dann müssen, um das gleiche Steueraufkommen zu erhalten, andere Einkommensschichten höhere Lasten tragen.» Die Statistik bestätigt es: Im Kanton Zürich zahlen die obersten 13% der Steuerpflichtigen 76% des gesamten Steuerertrags.