Steuererklärung auf der Postkarte Der Bund, 16.08.2004, von Matthias Knecht

Steuererklärung auf der Postkarte
Der Bund, 16.08.2004, von Matthias KnechtWarum müssen die Steuern so kompliziert sein? Vier Millionen Steuerpflichtige quälen sich in der Schweiz Jahr für Jahr durch unverständliche Formulare, um dann Monate später eine noch unverständlichere Abrechnung zu erhalten. Wehe dem, der den kleinsten Fehler macht! Säule-3a-Abzug vergessen? Kann Tausende von Franken kosten. Wohnung zum falschen Zeitpunkt renoviert? Kostet Tausende und gibt obendrein weniger Krankenkassensubventionen. Nicht auszudenken schliesslich, wenn die Autofahrt vom neuen Eigenheim an den weit entfernten Arbeitsplatz nicht als notwendig anerkannt wird. Die Steuerfolgen sind verheerend.Bereits Anfang der 80er-Jahre haben Robert Hall und Alvin Rabushka erkannt, dass ein solches Steuersystem weder gerecht noch wirtschaftlich sinnvoll ist – damals mit Blick auf das nicht weniger komplizierte Steuerrecht der USA. Ihre Lösung hiess «Flat Tax». Schaffen wir doch all die Abzüge, Ausnahmen und Sondertatbestände ab, schlugen die beiden Ökonomen vor.Nur noch ein Abzug pro Kopf

Wenn es weniger Ausnahmen gibt, kommt der Fiskus mit einem Steuersatz von 19 Prozent aus, haben Hall und Rabushka vorgerechnet. Dieser Satz sollte einheitlich gelten, für Reich und Arm, für Haushalte und Unternehmen. Um der Gerechtigkeit willen sollte nur noch ein einziger Abzug erlaubt sein, nämlich ein pauschaler Pro-Kopf-Abzug in Höhe des Existenzminimums – einfach, transparent und effizient. Das Schlagwort dazu lautete: «Postcard-size Tax Returns», die Steuererklärung auf einer Postkarte.

Inzwischen hat die Idee von Hall und Rabushka die Schweiz erreicht. Im Auftrag von Bundesrat Hans-Rudolf Merz prüft die Eidg. Steuerverwaltung (ESTV) derzeit Vorschläge für eine «radikale Vereinfachung des Steuersystems». Das bestätigt auf Anfrage Christoph Schaltegger, wirtschaftspolitischer Berater bei der ESTV. Die Ausnahmen «machen das Steuerrecht intransparent» und führen zu einer «ungewollten Verteilungswirkung», sagt Ökonom Schaltegger, und weiter: «Die Flat Tax hat den Sinn, all diese Sondertatbestände zu eliminieren.»

Doch das Streichen aller Abzüge (bis auf einen persönlichen Freibetrag) ist noch nicht alles. Die Flat Tax laufe auf eine sehr weit gehende Umgestaltung des Schweizer Steuersystems heraus, erklärt Schaltegger: Haushalte müssten demnach nur noch Löhne und Renten versteuern, nichts anderes. Der Rest würde bereits beim Arbeitgeber versteuert, wo die Flat Tax noch tief greifender wirkt. In den Unternehmen würde die ganze komplizierte steuerliche Gewinnermittlung entfallen. Stattdessen würde die Steuerschuld auf der Grundlage der tatsächlichen Zahlungsströme ermittelt (der «reale Cashflow» laut Hall und Rabushka). Mit Abschreibungen könnte keine Steuerpolitik mehr gemacht werden, denn Investitionen würden dann abgezogen, wenn sie getätigt werden. Auch die meisten anderen Steuertricks in den Unternehmen entfielen.

Zweifel an Gerechtigkeit

«Das ist in der Theorie ein interessantes Modell», sagt Schaltegger und warnt vor voreiligen Hoffnungen. Denn «der Teufel steckt im Detail». Zum einen stellt sich die Frage der Steuergerechtigkeit. Wird der persönliche Freibetrag hoch angesetzt, so müsste die verbleibende Bemessungsgrundlage mit einem hohen Satz versteuert werden.

Hingegen tiefe Sätze erreicht man nur mit tiefen Freibeträgen. Das aber wäre gegenüber Menschen mit mittleren und tiefen Einkommen ungerecht. Demgegenüber werden die oberen Einkommensschichten, die heute unter der stark progressiven Bundessteuer leiden, tendenziell begünstigt.

Darüber hinaus gäbe es eine Reihe von praktischen Problemen: Erstens müsste die Schweiz das Konzept auf einen Schlag einführen. Ein Kanton alleine könnte kaum vorpreschen. Zweitens gäbe es Probleme mit dem Ausland: All ihre Doppelbesteuerungsabkommen mit anderen Staaten müsste die Schweiz neu aushandeln. Drittens müssten für die Unternehmen, die Investitionen mit der Aussicht auf lange Abschreibungen getätigt haben, lange Übergangsfristen gefunden werden.

Nirvana versus Realität

Zuletzt stellt sich die Frage, ob eine Flat Tax nicht bald nach ihrer Einführung von genauso viel Ausnahmen durchlöchert wäre wie die heutige Steuer. Der amerikanische Ökonom William Gale schreibt in seiner Analyse: «Ein idealisiertes (. . .) Steuersystem mag immer besser aussehen als das, was man in der Wirklichkeit vorfindet.»

Literatur zur Flat Tax – Robert Hall: Fairness and Efficiency in the Flat Tax, Washington 1996. – Michael Leysinger: Eine «Flat Tax» für die Schweiz, Solothurn 2004. – Markus Schneider: Weissbuch 2004

Schweizer Steuerrecht: Die Berater freuts, die Wirtschaft leidet Keystone

In der Praxis erst in Ansätzen realisiert

Für die Reagan-Ära war die Idee der Flat Tax typisch radikal: Alles wird besteuert, aber alles nur einmal. Weder Ausnahmen und Abzüge sollten erlaubt noch Doppelbesteuerung mehr möglich sein, wie etwa heute in der Schweiz.

Um die unsinnige Suche nach Schlupflöchern zu unterbinden, sollen Private und Unternehmen mit dem gleichen Satz besteuert werden, ohne Progression der Steuersätze. Ein steuermildernder Effekt für die Ärmeren liesse sich besser durch hohe Freibeträge pro Kopf erzielen, argumentierten die Flat-Tax-Erfinder Robert Hall und Alvin Rabushka.

Auch alle anderen Steuern neben der Flat Tax wollen die beiden Ökonomen abschaffen, etwa auf Vermögen, Umsätze oder für die Handänderung. Hall und Rabushka schätzten den zusätzlichen Wachstumseffekt daraus auf drei Prozent – vor allem deshalb, weil es für Firmen keine Rolle mehr spielen würde, auf welche Art sie sich finanzieren. Spätere Studien nannten gar Werte von vier bis sechs Prozent des Bruttoinlandproduktes.

Eine kürzlich in der Schweizer Presse erschienene Modellrechnung wird von der eidg. Steuerverwaltung als Idee einer Einheitssteuer bezeichnet – weit entfernt vom Modell einer Flat Tax.

In der Praxis wurde diese erst in Ansätzen realisiert, etwa in Russland (2001), Singapur (2002), Serbien (2003), in der Ukraine und der Slowakei (beide 2004). Indes: Die anderen Steuern haben diese Länder nicht abgeschafft. (mk)

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